Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich in einem aktuellen Verfahren mit dem Anwendungsbereich
- der Steuerbefreiung für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin und
- des ermäßigten Steuersatzes für Arzneimittel und Medizinprodukte
nach der in der EU geltenden Mehrwertsteuersystem-Richtlinie (MwStSystRL) befasst. In dem belgischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um Chiropraktiker, Osteopathen, plastische Chirurgen und bestimmte Berufsverbände, die im Jahr 2016 Klagen wegen des Verstoßes gegen die MwStSystRL eingereicht hatten. Der EuGH hat nun klargestellt, dass die Steuerbefreiung nach der MwStSystRL nicht auf Leistungen beschränkt ist, die von Angehörigen eines durch das Recht des betreffenden Mitgliedstaates reglementierten ärztlichen oder arztähnlichen Berufs erbracht werden. Ferner steht die MwStSystRL einer nationalen Regelung nicht entgegen, die unterschiedliche Steuersätze für Arzneimittel und Medizinprodukte vorsieht, die einerseits zu therapeutischen Zwecken und andererseits zu ästhetischen Zwecken geliefert werden.
Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Definition der arztähnlichen Berufe über ein eigenes Ermessen, einen bestimmten Beruf nicht als einen arztähnlichen Beruf anzusehen und ihn von der Steuerbefreiung nach der MwStSystRL auszunehmen. Dieser Ausschluss muss durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein, die sich auf die beruflichen Qualifikationen der Behandelnden und auf Erwägungen im Zusammenhang mit der Qualität der erbrachten Leistungen beziehen.
Hinweis: Nach dem deutschen Umsatzsteuerrecht sind die Leistungen von Chiropraktikern und Osteopathen (abweichend von der belgischen Rechtslage) nicht generell von der Steuerbefreiung für Heilbehandlungen ausgeschlossen. Deutschland hat von der Möglichkeit eines ermäßigten Steuersatzes für Arzneimittel keinen Gebrauch gemacht. Die Entscheidung des EuGH veranschaulicht, dass das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen nicht unbegrenzt ist. Die Mitgliedstaaten müssen bei der Anwendung der Steuerbefreiung zum einen das Ziel dieser Vorschrift und zum anderen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten.